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#Produkttrends

Sachkundige Patienten – sind wir dafür bereit? Weltdiabetestag 2022

In der Europäischen Region der WHO nimmt die Prävalenz der Diabetes in sämtlichen Altersgruppen zu, und schon heute sind in manchen Mitgliedstaaten 10% bis 12% der Bevölkerung von der Krankheit betroffen.

In einem typischen Jahr konsultiert ein Diabetespatient eine Gesundheitsfachkraft insgesamt nur wenige Stunden lang. In den Tausenden restlichen Stunden müssen sie sich um sich selbst kümmern. In den Ländern werden daher zunehmend therapeutische Patientenschulungen genutzt, um Diabetespatienten mit den notwendigen Fähigkeiten und Kenntnissen auszustatten.

Im Durchschnitt denken Diabetespatienten alle 20 Minuten über ihre Krankheit nach, und zwar jeden Tag ihres Lebens. Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei Diabetespatienten ein zunehmender Bedarf dafür besteht, mehr über ihre Krankheit, den Umgang mit der Krankheit, den Umgang mit den für sie unverzichtbaren Technologien und die bestmögliche Nutzung von Gesundheitsangeboten zu erfahren. Es gibt zahlreiche Behandlungen und Interventionen, um Diabetes in den Griff zu bekommen, doch diese wirken nur, wenn der Patient seine Erkrankung auch im Alltag mit Unterstützung von Betreuungspersonen bzw. Familienmitgliedern bewältigen kann.

Als Antwort auf den steigenden Bedarf nach Informationen und besseren Selbsthilfeoptionen entwickeln Gesundheitsanbieter Programme für die therapeutische Patientenschulung, mit deren Hilfe sie Patienten zu eigenverantwortlichem Handeln befähigen und eine patientenorientierte Versorgung fördern, und zwar unter Einbeziehung von Diabetespatienten in den Prozess, um so Erkenntnisse aus ihren gelebten Erfahrungen ziehen zu können.

Therapeutische Patientenschulungen können Patienten nicht nur zu eigenverantwortlichem Handeln befähigen, sondern Gesundheitsanbietern zudem Zeit und Geld sparen. „Für Ärzte und Pflegepersonal ist die Zeit immer knapp“, erklärt Prof. Dr. Karin Lange, Leiterin der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, wo therapeutische Schulungen bereits seit 15 Jahren Teil des medizinischen Lehrplans sind. „Aber wenn man Patienten gut schult, braucht man nicht viel Zeit, da sie weniger Komplikationen, weniger Morbidität und sogar einen Rückgang bei der Mortalität aufweisen.“

Eine Rolle für die medizinische Gemeinschaft in der Selbstfürsorge

Es wurde schon immer als notwendig erachtet, Diabetespatienten in ihre Behandlung einzubeziehen, doch wurden in der Vergangenheit von Gesundheitsanbietern unterschiedliche Ansätze gewählt oder es mangelte ihnen an entsprechenden Kompetenzen, um ein ausführliches und ernsthaftes Programm umzusetzen, oder sie betrachteten therapeutische Patientenschulungen als zusätzliche Option in Ergänzung zur eigentlichen Behandlung – doch all dies ändert sich gerade.

„Therapeutische Patientenschulungen sind ein mächtiger Ansatz“, erklärt Prof. Mehmet Ungan, Professor für Familienmedizin in der Türkei und ehemaliger Präsident des Weltverbands der Hausärzte. „Ich weiß nicht, ob die medizinische Gemeinschaft bereit ist, mit dieser Macht umzugehen. Oder ob die Patienten dafür bereit sind. Sie kann eine große Herausforderung darstellen. Diese Art von Schulungen müssen in die tägliche Routine von Ärzten eingebaut werden, wie man die einzelnen Patienten behandelt, je nach Besetzung der Praxis oder Klinik, und welche Erwartungen der jeweilige Arzt und der betreffende Patient haben. Wir hoffen, dass therapeutische Patientenschulungen überall zu einem zentralen Bestandteil der medizinischen Ausbildung werden können, zu etwas, das im Laufe der Karriere sämtlicher Gesundheitsfachkräfte immer wieder wiederholt und nicht als einmalige Übung angesehen wird. Dafür sind sie zu bedeutsam.“

Therapeutische Patientenschulungen für Patienten und Fachkräfte

Gesundheitsfachkräfte können auf unterschiedlichen Ebenen darin ausgebildet werden, therapeutische Patientenschulungen durchzuführen, nicht nur in medizinischen Hochschulen, sondern auch im Rahmen von Auffrischungskursen, der Grundausbildung für neue Fachkräfte sowie im Rahmen des lebenslangen Lernens. Länder, Regionen oder Organisationen, die den Zugang zu entsprechenden Schulungsprogrammen rasch ausbauen wollen, können sich zudem das Modell des kaskadenweisen Lernens in Form von Schulungsprogrammen für Ausbilder zunutze machen. Der Stoff, den die Fachkräfte in diesen Schulungen lernen – von der Art und Weise, wie sie mit einem Patienten sprechen, und wie sich diese auf einen Patienten auswirken kann, bis hin zu Möglichkeiten, wie Patienten Zugang zu breiter angelegten Gesundheitsangeboten erhalten – kann Diabetespatienten in die Lage versetzen, ihre Krankheit selbst in den Griff zu bekommen, und ihnen dabei nicht nur Angst und Sorgen nehmen, sondern auch Komplikationen ihrer Krankheit reduzieren.

Therapeutische Patientenschulungen können darüber hinaus auf unterschiedliche Weise durchgeführt werden, um auf unterschiedliche Bedürfnisse einzugehen. Von einem verbindlichen 14-tägigen Kurs zur Ausbildung von Eltern, deren Kinder kürzlich mit Diabetes diagnostiziert wurden, über einen wöchentlichen Abendkurs über 6 Wochen, in dem Patienten besprechen und entscheiden, welche Ziele und Interventionen helfen würden, ihr Leben zu verbessern, bis hin zu einem Programm aus monatlichen Online-Lesungen für örtliche Selbsthilfegruppen, die von einem Facharzt für Diabetes durchgeführt werden.

WHO fördert Gesundheitserziehung und Gesundheitskompetenz

Gegenwärtig entwickelt WHO/Europa einen Leitfaden für therapeutische Patientenschulungen, der Anfang 2023 veröffentlicht werden soll. Damit soll ein Arbeitspapier zu therapeutischen Schulungen aktualisiert werden, das 1998 von WHO/Europa ausgegeben wurde, und auf die erheblichen Veränderungen im Hinblick auf die vorhandene Evidenzgrundlage und klinische Praxis in diesem Bereich hingewiesen werden.

In diesem Jahr wurden von den Mitgliedstaaten erstmals globale Zielvorgaben für die Diabetesversorgung festgelegt, und im Globalen Diabetes-Pakt der WHO verpflichteten sich die Mitgliedstaaten dazu, Gesundheitserziehung und Gesundheitskompetenz als Arbeitsfelder des Globalen Paktes anzusehen, ganz im Einklang mit dem Thema des Weltdiabetestages 2022: „Zugang zu Diabetes-Schulungen“.

Infos

  • Marmorvej 51, 2100 København, Denmark
  • WHO/Europe